Zeichen 215 / 220

Zeichen 215 / 220, Die Einbahnstraße und der Kreisverkehr

Die Einbahnstraße
und der Kreisverkehr

Eine Liebesmoritat

Frühling war's in Schilda Wallt,
die Nächte waren lau und mild,
da strich herum ein einsam Schild.
Der Mond, er mochte noch so scheinen,
das Schild es mußte heftig weinen,
im Herzen war ihm bitterkalt:

Die Einbahnstraße, schmal und eckig,
mit weißem Pfeil auf blauer Brust,
darinnen ein Herz randvoll mit Frust,
von Natur ein schlichteres Gemüte,
doch von um so größerer Seelengüte.
Heute aber ging's ihr dreckig.

Wie nun das Schicksal es so wollte,
traf sie auf einem Wiesengrund
den Kreisverkehr, fett und rund,
der ebenfalls nach getaner Pflicht,
die Ruhe suchte im Mondenlicht,
und gleich auch Ihr Beachtung zollte:

Jungfer Einbahnstraße, seid gegrüßt !
Warum schaut Ihr so düster aus,
laßt Eure Sorgen nur zu haus,
das Leben ist zu kurz zum Weinen,
laßt doch das Jammern und das Greinen,
habt Ihr denn keinen der Euch küßt ?

Ihr habt gut reden, Kreisverkehr,
ja, Euer Leben das ist bunt,
bei Euch geht alles immer rund,
die einen kommen, die anderen gehen,
da gibt es immer was zu sehen;
Ich hingegen kann nicht mehr !

An mir rast jeder nur vorbei,
ich sehe nur der Autos Heck,
riech nur den Gestank und Dreck,
bei mir da gibt es kein Verweilen,
nur immer eilen, eilen, eilen;
Ach, das Leben ist mir einerlei !

Da zeigte der Kreisverkehr auf seinen Bauch:
Seht hier auf meine weißen Pfeile hin,
sie krümmen sich gegen den Uhrzeigersinn,
auch wenn sich's bei mir im Kreise dreht,
es doch nur in eine Richtung geht,
eine Einbahnstraße, das bin ich auch !

So kommt mit mir, mein liebes Kind,
kommt mit auf meine kleine Insel,
und spielt doch nicht den Einfaltspinsel,
stellt Euch ganz einfach neben mich,
und lacht den Leuten ins Gesicht !
So sprach der Kreisverkehr geschwind.

Da stehen sie nun Schild bei Schild,
der Kreisverkehr und die Einbahnstraße,
und lieben sich ganz über die Maße.
Wenn nachts der Verkehr dann ruhen muß,
so geben sie sich zärtlich einen Kuß,
fürwahr, ein wundersames Bild.

Und die Moral von der Geschicht:
Gefällt Dir Deine Straße nicht,
ist das Leben Dir eine Hatz,
so such Dir einen andren Platz.
Bist Du ein Pfeil, so lern Dich biegen,
dann wirst Du auch was bessres kriegen.

TB